Self-handicapping: Selbstwert steigern durch Selbstsabotage

Was haben Mörder und Studierende gemeinsam? Einige von ihnen besorgen sich ein wasserdichtes Alibi für den Fall, dass etwas schief läuft. Sie weisen jegliche Schuld von sich und steigern somit ihren Selbstwert.

Zugegeben ‒ die Motive unterscheiden sich deutlich: Mörder handeln rechtswidrig und moralisch verwerflich. Sie verschaffen sich ein Alibi, um eine lebenslange Haftstrafe wegen einer grausamen Tat zu umgehen. Sie behaupten: „Ich war es nicht!“ und liefern einen (gefälschten) Beweis.

Studierende hingegen legen sich gelegentlich ein Alibi für Misserfolg im Studium zu. Sie kreieren ein imaginäres oder reales Hindernis, das als Grund für eine misslungene Prüfung oder Hausarbeit dient. Im Nachhinein können die Studierenden dann sagen: „An mir bzw. an meinen mangelnden Fähigkeiten lag es nicht.“

Diese „Alibibeschaffung“ ist eine weitverbreitete und meist unbewusst verwendete Strategie unter Studenten! Wie genau diese Strategie aussieht, warum Studierende sie anwenden und welche Folgen sie nach sich zieht, erfährst du in diesem Artikel. Außerdem erkläre ich dir, wie du diese Strategie unterlassen kannst, um deinen Studienerfolg zu maximieren. 

 

Wie & warum wir unseren Selbstwert steigern

Die Strategie von der ich spreche, lautet self-handicapping. Sie ist eine von vielen Strategien die wir hin und wieder anwenden, um unseren Selbstwert aufrechtzuerhalten oder zu erhöhen.

Unser Selbstbild besteht aus allen Vorstellungen, die wir von uns selbst haben. Welche Eigenschaften schreiben wir uns zu? Wie nehmen wir uns wahr? Was macht uns aus? All das ist im Selbstbild vereint. Es beinhaltet zwar nur unsere eigenen Einschätzungen, wird aber dennoch stark dadurch beeinflusst, wie uns unsere Mitmenschen wahrnehmen und bewerten.

Unser Selbstbild bestimmt unseren Selbstwert. Wenn wir ein positives Selbstbild haben, haben wir einen hohen Selbstwert und damit ein positives Selbstwertgefühl. Es ist ein menschliches Bedürfnis, den Selbstwert immer wieder aufrechtzuhalten oder ihn sogar zu steigern. Denn wenn unser Selbstwertgefühl hoch ist, fühlen wir uns kompetent und in der Lage, Veränderungen herbeizuführen und unsere Ziele zu erreichen. Den Selbstwert steigern zu wollen, gehört zum Menschsein dazu.

Hin und wieder erleben wir selbstwertbedrohliche Situationen. Wenn uns ein potenzieller Misserfolg bevorsteht, fürchten wir, dass unser Selbstwertgefühl darunter leiden wird. Dies wollen wir natürlich vermeiden. Wir setzen daher Strategien ein, die dem Selbstwertverlust entgegenwirken sollen. Besonders im akademischen Kontext benutzen wir diese Strategie zum Selbstwertschutz.

Angenommen eine Prüfung lief schlecht. Es liegt in unserer menschlichen Natur nun nach einer Ursache für unseren Misserfolg zu suchen. In der Psychologie lautet dies Kausalattribution. Wir wollen unserer mangelhaften Leistung eine Ursache zuschreiben. Diese Ursache kann in uns, aber auch außerhalb unserer Person liegen. Wenn wir die Ursache bei uns selbst sehen, spricht man von internaler Attribution. Wenn wir andere Personen oder ungünstige Gegebenheiten als Ursache bestimmen, haben wir extern attribuiert.

Da es unser Ziel ist, unseren Selbstwert und unser positives Selbstbild aufrechtzuerhalten, neigen wir dazu, bei Erfolgserlebnissen internal und bei Misserfolgserlebnissen external zu attribuieren. Das bedeutet: Eine erfolgreiche Prüfung haben wir unserer Anstrengung und unserer Intelligenz zu verdanken, während eine schlechte Prüfung durch die Schwere der Prüfungsfragen, der unzureichenden Vorbereitungszeit oder schlechten Schlaf vor der Prüfung, begründet wird. Diese Verzerrung hält das Bild von uns als intelligente Studierende aufrecht.

 

Ursachen und Arten von self-handicapping

Self-handicapping wenden wir an, wenn wir unseren Selbstwert durch Misserfolg im Leistungsbereich bedroht sehen. Wir besorgen uns bereits vor der Prüfung einen genauen Grund für unser potenzielles Scheitern. So können wir unseren Misserfolg glaubwürdig external attribuieren. Unser zurechtgelegtes Handicap war schuld, nicht unsere mangelnden Fähigkeiten! Durch diese Aussage können wir schnell und effektiv unseren Selbstwert steigern. Wir entledigen uns der persönlichen Verantwortung für die schlechte Leistung und nehmen uns weiterhin als kompetent wahr.

Ein weiterer vermeintlicher Pluspunkt des self-handicappings: Erleben wir trotz self-handicapping Erfolg, so attribuieren wir dennoch internal! Das heißt, wir sind sogar so kompetent, dass wir trotz des Handicaps eine gute Leistung erzielen konnten. So lässt sich zusätzlich  unser Selbstwert steigern!

Zum einen überzeugen wir uns selbst von unserer Kompetenz, zum anderen bieten wir natürlich auch unseren Mitmenschen eine triftige Erklärung für unseren Misserfolg. Dadurch verhindern wir, negativ bewertet zu werden, was wiederum dafür sorgt, dass unser Selbstwertgefühl nicht beeinträchtigt wird.

Self-handicapping wenden wir besonders dann an, wenn wir hohe Versagenserwartungen haben, befürchten von anderen negativ bewertet zu werden und viele allgemeine Selbstzweifel bestehen.

Self-handicapping lässt sich in zwei Arten unterteilen. Zum einen gibt es das „behavioral self-handicapping“. Bei dieser Strategie ist das Handicap real. Wir üben also eine Handlung aus, die mit Erfolgserlebnissen unvereinbar ist. Wenn wir uns also beim Lernen bewusst weniger anstrengen, prokrastinieren oder am Abend vor der Prüfung zu viel Alkohol trinken, dann haben wir ein Alibi für die verhauene Prüfung. Aber nicht nur das: Wir hindern uns tatsächlich daran, bei der Prüfung unser volles Potenzial zu zeigen! Diese maladaptive Form des self-handicapping mindert unsere Leistung.

Beim „claimed self-handicapping“ hingegen legen wir uns eine Ausrede für schlechte Leistungen zurecht. Diese  muss nicht real sein. Wir könnten vor unseren Kommilitionen beispielsweise betonen, wie wenig wir doch lernen würden oder wie wenig Zeit wir zum Lernen hätten, obwohl wir tatsächlich viel lernen. Bei dieser Form des self-handicapping wollen wir die negative Bewertung durch unsere Mitmenschen verhindern, wohingegen wir beim behavioral self-handicapping unsere Mitmenschen und uns selbst belügen.

 

Konsequenzen des self-handicapping

Kurzfristig betrachtet ist self-handicapping von Vorteil, denn bei Erfolg können wir unseren Selbstwert steigern und bei Misserfolg zumindest aufrechterhalten. Bei moderatem Gebrauch der Selbstwertschutzstrategie zeigt sich sogar eine Leistungssteigerung! Wir können ohne Versagensängste lernen. Das Handicap ist wie ein Back-up, für den Fall, dass es eben doch nicht klappt. Unser Kopf ist frei, um neues Wissen aufzunehmen. Doch bei exzessivem Gebrauch dieser Strategie bzw. längerfristig betrachtet, hat self-handicapping viele negative Konsequenzen: Wir vermeiden Leistungssituationen, unsere Gedanken kreisen sich um das Versagen und wir machen uns immer abhängiger von der Bewertung anderer. Wir verlieren das Vertrauen in unsere Fähigkeiten und die Motivation, uns zu verbessern. Wir verzeichnen weniger Erfolgserlebnisse und schlechtere Noten. Auch unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden werden negativ beeinflusst. Über einen längeren Zeitraum hinweg zeigt sich: Unser Selbstwertgefühl nimmt sogar ab! Außerdem kommt diese Strategie nicht gut bei unseren Kommilitonen an und unsere Mitmenschen nehmen zunehmend Abstand.

 

So kannst du deinen Selbstwert steigern & Erfolge maximieren!

Das Fazit der Forschung: Möglicherweise ist die Ursache für schwache Leistung nicht mangelnde Motivation zu lernen, sondern die übermäßige Motivation, das Selbstwertgefühl zu steigern. Wir stehen uns selbst im Weg! Selbstwert steigern und diszipliniert lernen – das muss sich keinesfalls ausschließen! Entscheide dich für die längerfristige Strategie, um dein Selbstwertgefühl zu stärken. Unterlasse Selbstsabotagestrategien und sorge stattdessen für Erfolgserlebnisse! Wie das geht?

Formuliere konkrete Handlungspläne! Handlungspläne sind spezifizierte Vorhaben, die dir bei der Realisierung deiner Ziele helfen. „Wenn Situation X eintritt, werde ich Verhalten Y zeigen.“ Diese Handlungspläne unterstützen dich dabei konsequent das Verhalten zu zeigen, das dich zum Ziel führt. Das Erstellen von „Wenn-dann-Plänen“ hat folgende Vorteile: Du erkennst die Situation X leichter und du hast die automatische Verknüpfung zu Y gelernt. Außerdem begegnest du möglichen Hindernissen auf deinem Weg zum Ziel mit mehr Leichtigkeit und Zuversicht, denn durch deinen Handlungsplan weißt du mit diesen Hindernissen umzugehen.

Diese Wenn-Dann-Pläne eignen sich auch fürs Unterlassen von self-handicapping! Durch diese Handlungsplänekannst du nämlich auch lernen, Versagensängste und Selbstzweifel vor dem Bearbeiten einer Aufgabe abzulegen! Keine Selbstzweifel – kein Bedarf an Selbstwertschutz – kein self-handicapping!

In einer Studie hat sich gezeigt, dass Handlungspläne beide Arten von self-handicapping verringern! Benutze folgenden Wenn-Dann-Plan, um von diesem Effekt Gebrauch zu machen:„Wenn ich anfange X zu lernen, dann werde ich meine Sorgen ignorieren und mir sagen: Ich kann das schaffen!“Schreibe dir diesen Wenn-Dann-Plan auf und lese ihn dir mehrfach durch. Wenn du nun X lernst, wirst du automatisch Selbstzweifel ablegen und so keine Strategie zum Selbstwertschutz verwenden müssen! Nun kannst du konzentriert lernen und benötigst kein Alibi.

Also verinnerliche deine neue Wenn-dann-Regel und du wirst selbstsicher und konzentriert lernen! Lernen und Selbstwert steigern – so kann es gehen!

Emilie

Quellen und Material zum Weiterlesen:

  1. Erfassung des akademischen self-handicapping: https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1026/0049-8637/a000061
  2. Zusammenhang von Selbstwertgefühl & Strategien zum Selbstwertschutz: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0191886915006029
  3. Pfadmodell zu Perfektionismus, Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeit: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0191886914002062
  4. Implizite Überzeugungen bezüglich Intelligenz und Begabung: http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0016986215599057?journalCode=gcqb

Und noch ein Video von Daniel zum Thema Selbstwert und Selbstsabotage: